Karma und Konventionen
Glaubt ihr an Karma?

Ich muss mir eingestehen, dass ich zumindest an schicksalshafte Begegnungen glaube. Daran, dass ich bestimmte Menschen kennenlernen "sollte".
Das ist eigentlich absurd, da ich sonst weder religiös noch spirituell bin.

Laut Wikipedia bedeutet Karma, dass "jede Handlung – physisch wie geistig – unweigerlich eine Folge hat".
Das klingt ja erstmal weniger spirituell als logisch.

Weiterhin werden "die Wirkungen von Handlungen und Gedanken in jeder Hinsicht, insbesondere die Rückwirkungen auf den Akteur selbst" hervorgehoben.
Ich denke, das kann ein jeder Bordi auch bestätigen: Das erste Cutten z.B. ist nicht nur eine Verletzung der Haut, sondern hebt innere Grenzen auf. Es ist nicht nur die Sucht, die durch den erstmaligen Seretoninstoß, droht, sondern auch die Tatsache, dass man derart bewusst gegen den eigenen Selbsterhaltungstrieb verstößt, hat Folgen, die schwer zu erklären sind.

Im Rückblick empfinde ich jedoch den Umstand, dass man sich mit dem Ritzen ein Stück weit an den Rand der Gesellschaft begibt, als die größte innere Veränderung. Dabei meine ich nicht, dass jeder Cutter von seinen Mitschülern und seiner Familie geächtet wird. Ich finde hier sind auch viel subtilere Mechanismen beteiligt. Man kann nicht mehr mit jedem über das volle Ausmaß seiner Probleme und Gefühle sprechen. Man weiß und spürt ganz allgemein, dass man etwas tut, was für die Mehrheit einfach nur unverständlich ist.

Ich bin so oder so unfähig mich an die Gesellschaft anzupassen, ich würde mich geschwollenermaßen als Freidenker bezeichnen und möchte meine Fähigkeit über Dinge selbst nachzudenken, statt einer landläufigen Meinung blind zu folgen, nicht missen.
Allerdings ist so ein unkonventioneller Lebensweg anstrengend. Ständig ist man bestenfalls mit Fragen, meistenfalls mit Kritik konfrontriert.
"Warum machst du nicht Karriere?"
"Warum hast du den Job geschmissen?"
"Was sollen die Piercings?"

Nunja, man könnte sagen, das ist der Deal.
Aber nachdem ich mit dem Cutten begonnen habe, außerhalb der Norm zu leben, ging es immer weiter. Selbstverwirklichung statt Karriere, Reisen statt fester Job, polygame Sexualität statt Liebe.
In Beziehungsdingen habe ich vieles ausprobiert. Nur die Dinge, die mir moralisch nicht verwerflich erschienen. Nach dem guten alten Grundsatz, solang man niemandem weh tut ist alles ok. Nunja, zumindest vorsätzlich habe ich das nicht getan, wie die Dinge dann enden ist eine ganz andere Frage.
Aber muss man etwas tuen nur weil nichts dagegen spricht? Auch wenn das alles spannend war.. meinen Kindern kann ich es später eh nicht erzählen.
Konventionen.. tja..

Es steht schon zwischen den Zeilen: Bei all dem Highlife habe ich im Endergebnis auch ordentlich Bockmist verzapft. Ziemlich schlechtes Karma.
In der selben Zeit und auch danach habe ich aber auch vielen Menschen helfen können. Gutes Karma. Ob sich das jetzt aufhebt?

Ich glaube, das trifft nicht nur auf mich zu: Bordis können mit Ambivalenzen nicht gut umgehen. Vielleicht weil Borderline und schizoide Muster sich hier und da überschneiden.
Ich finde es auf jeden Fall sehr seltsam, dass mich manche Menschen als wahnsinnig herzensgut erleben und andere als absolut gefühlskalt.
Bordis sehen andere Menschen ja auch meistens entweder als "gut" oder als "schlecht" an. Das Menschen beides sind, ist für uns schwer zu akzeptieren. Auch bei der eigenen Person.

Weshalb ich aber über Karma schreiben wollte. Ich habe mir die Definition von Karma durchgelesen. Laut bekannter Quelle sei es das Ziel überhaupt kein Karma mehr zu erzeugen, weder gutes noch schlechtes. Dies bedeute die Erlösung, dann werde man nämlich nicht mehr wiedergeboren.

Bei Wikipedia fällt in diesem Zusammenhang auch der Begriff "Nichttätigkeit" (nivritti).
Ich plädiere darauf Dinge, die man nicht versteht und Vorurteile, die man hat, zu hinterfragen.
Und ich frage mich: Erreicht der Hinduist also seine Erlösung, in dem er sich möglichst um seinen eigenen Dreck schert?
Eine Lebensweise, die ich bei vielen Protestanten vermisse.

Die Mildtätigkeit (danam) gehört im Hinduismus jedoch wie im protestantischem Glauben zum "Kodex".
Trotzdem muss ich mir eingestehen, dass ich an das Mädchen in China denken musste, dass zweimal überfahren wurde, bevor der 18. Passant es von der Straße geholt hat (laut Stern im übrigen ein Müllmann).
Spielt hier die Religion eine Rolle?

Laut Beckmanns letzter Sendung beeinflusst der Glaube an Reinkarnation sogar das Zeitgefühl. Denn wer an Reinkarnation glaubt muss nicht mehr alles in ein Leben packen. Da bin ich ein bisschen neidisch.

Aber im ernst.. das mit dem Karma muss mir nochmal jemand erklären. Dass gutes Karma auch verkehrt ist, verwirrt mich doch.